Im IAA Polizeikessel - Die Geschichte hinter dem Bild

Verdacht auf Schwarzfahren

Die Geschichte hinter dem Bild

September 2021

Proteste gegen die IAA: Ein buntes Bild, eine nervöse Polizei

München, 2021 – Die Stadt steht unter besonderer Beobachtung: Mehrere Gruppen und Verbände haben Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) angekündigt. Die Polizei bereitet sich auf einen der größten Einsätze seit zwei Jahrzehnten vor – das hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bereits im Vorfeld klargestellt. Die Autokonzerne sind alarmiert. Sie fürchten keine Diskussionen über nachhaltige Mobilität, sondern Bilder von Blockaden und brennenden Barrikaden, die ihre grüne Inszenierung stören könnten.

Doch an diesem Mittwochabend zeichnet sich ein anderes Bild ab. Kein „linksextremes und linksautonomes Milieu“, wie es aus bestimmten politischen Kreisen befürchtet wird, sondern ein vielfältiger Protest. Eine Gruppe junger Menschen, bunt, laut, aber friedlich. Ihr Ziel ist der Odeonsplatz, wo sie die sogenannten Open Spaces – besuchen wollen.

Doch noch bevor die ersten Demonstrierenden aus der U-Bahn steigen, schreitet die Polizei ein. Beamte postieren sich an den Ausgängen, beobachten die Ankommenden, kontrollieren Taschen und Rucksäcke. Noch ist nichts passiert, doch die Anspannung ist spürbar. Es scheint, als wolle die Polizei nichts dem Zufall überlassen – und als sei die Botschaft klar: Die Demonstrierenden sollen gar nicht erst ankommen.

Offenbar haben die wenigsten in der Gruppe Interesse an einem neuen Mercedes – doch allein diese Vermutung scheint auszureichen, um ein massives Polizeiaufgebot in Gang zu setzen. Noch bevor die Demonstrierenden den Bahnsteig vollständig verlassen können, werden sie am Ende der Rolltreppe gestoppt und eingekesselt.

Was folgt, wirft Fragen auf. Die Gruppe wird eng zusammengedrängt und über eineinhalb Stunden lang festgehalten. Nach und nach werden die einzelne Personen abgeführt und ihre Personalien aufgenommen. Ein Abstandhalten – ohnehin in Zeiten von Corona dringend empfohlen – ist unter diesen Bedingungen schlicht nicht möglich.

Die Polizei spricht von einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Doch für die Eingekesselten fühlt es sich anders an: als ein Signal, dass ihr Protest unerwünscht ist – lange bevor er überhaupt begonnen hat.

Als die Gruppe ankommt blockiert die Polizei die Rolltreppe

Als die Gruppe ankommt blockiert die Polizei die Rolltreppe

Als die Gruppe ankommt blockiert die Polizei die Rolltreppe

Als die Gruppe ankommt blockiert die Polizei die Rolltreppe

Sandra S. 24 Jahre berichtet wie sie den Einsatz erlebt hat: „Ich wurde grundlos vollständig durchsucht, von Polizisten angeschrien und es wurden persönliche Gegenstände einbehalten. Die Situation sowie der enge Kreis aus Polizisten lösten bei mir eine Panikattacke aus, die Einnahme von Medikamenten oder die Nutzung meines Asthmasprays wurden mir jedoch zunächst verweigert, mit der Begründung, dass dies nur unter ärztlicher Aufsicht erlaubt sei.

Auf Nachfrage bei dem leitenden Beamten Herrn Kasper, wurde mir mitgeteilt, der Grund der Maßnahme wäre der Verdacht auf ‚Erschleichen von Leistungen‘, sprich Schwarzfahren. „Bei einer Einzelbefragung wurde Verdacht auf Schwarzfahren geäußert, obwohl ich im Besitz einer gültigen Fahrkarte war, welche ich die ganze Zeit vorgezeigt habe“ berichtet Sandra S.

Sandra wurde in Handschellen auf das Polizeipräsidium in der Ettstraße gebracht, sie durfte dort weder Telefonieren, noch auf die Toilette. Um 1:00 Uhr in der Nacht durfte sie endlich nach Hause.

Doch die Situation wird noch absurder.

Sandra, die ursprünglich gar nicht Teil der eingekesselten Gruppe war, gerät plötzlich selbst ins Visier. Sie stand außerhalb des Polizeikessels, wartete auf ihre Schwester, wollte sie aus der Situation holen. Noch kurz zuvor hatte ich mich mit ihr unterhalten – unbeteiligt, am Rand des Geschehens.

Dann ein überraschendes Angebot: Ein Beamter deutet auf die Absperrung und meint, sie könne doch einfach hineingehen, um mit ihrer Schwester zu sprechen. Ein paar Schritte weiter, und sie gehört plötzlich selbst zu den Festgehaltenen.

So schnell kann es gehen. Ein Moment der Fürsorge wird zum unfreiwilligen Eintritt in eine Maßnahme, die von außen kaum nachvollziehbar erscheint. Was bleibt, ist das Gefühl, dass nicht nur Protestierende, sondern auch Unbeteiligte in den Strudel der Polizeimaßnahmen geraten können – mit fragwürdigen Begründungen und unklaren Konsequenzen.